Dominikus Böhm und Martin Weber

Der Bau und seine innere Ausgestaltung

Bedarf die Kirche für den in der Mitte der Gläubigen gegenwärtigen Herrn einer Wohnung, so muß dies eine Opferstätte sein, eine Wohnung, deren Hauptort der Altar ist.
(J. van Acken in „Christozentrische Kirchenkunst“)

Die christozentrische Bewegung unserer Zeit war das Leitmotiv bei der Gestaltung der Peter- und Paulkirche in Dettingen a. Main. Von dem christozentrischen Raumgedanken ausgehend war unser Streben darauf gerichtet, eine energische Steigerung der räumlichen Wirkung mit der bestimmten und ausdrücklichen Richtung nach dem Hochaltar zu schaffen. Die Stützenreihung im Innern, das gedämpfte Licht im Schiff gegenüber der hell strahlenden Chorbeleuchtung, die Steigerung der farbigen Wirkung nach dem Hochaltar zu waren alles Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Durch die Stützenreihung wird das Leichte, Schwebende des Raumes, das zunächst den Beschauer gefangen nimmt, weitergeführt nach dem Altare und dort in kreisende Bewegung in horizontaler Richtung aufgelöst. Das ganze Raumsehnen findet seine Erfüllung in der Opferstätte. Die kristallisch aufgelöste Chordecke und Wandfläche außerhalb des Bildes sind in Form und Farbe die Mittel, die Entmaterialisierung dieses Altarraumes zu erwirken. Hier finden unsere Opfer, unsere Gebete den Mittler zwischen Gottheit und Menschheit in Christus, dem Herrn.

Aus dem gleichen christozentrischen Beweggrunde schieben sich die beiden Seitenaltäre mit absichtlicher Bescheidenheit ganz auf die Seite und sind nicht, wie häufig sonst in katholischen Kirchen im Mittelschiff, etwa links und rechts im Chorbogen, aufgestellt.

Die Lichtquellen sind so angeordnet, daß sie den Gläubigen nicht ablenken. Sie liegen direkt unter der Decke des Mittelschiffes und gießen ihr mildes Licht über den ganzen Raum. Auf die Anordnung von Fenstern in den Seitenschiffen wurde mit Absicht verzichtet, um die Gemeinde durch die vollkommene Geschlossenheit des Raumes zur Abkehr von der Außenwelt und zur Sammlung und Andacht zu führen.

Der Kreuzweg im Innern führt den Eintretenden aus dem Werktage zum eigentlichen Ziel unseres Lebens, zu Gott unserem Herrn, der in seinem Opfertod am Kreuze uns das leuchtende Vorbild gibt der Ergebung in den Willen seines himmlischen Vaters. Das Kreuzesopfer auf Golgatha ist durch seine Anordnung unmittelbar über dem Altare auch gedanklich in Beziehung gebracht mit dem alltäglich sich erneuernden hl. Meßopfer. Die freudigen Themata der Verkündigung und Geburt Christi geben im Vordergrunde einen wirkungsvollen Gegensatz zu dem wuchtigen Drama der Kreuzigung. Die gesamte Malerei des Innenraumes stammt von dem Hanauer Maler Reinhold Ewald, der uns ein gleichgesinnter, außerordentlich wertvoller Mitarbeiter war.

Der Altar ist als geistiger Mittelpunkt des Raumes durch reiches Gold besonders hervorgehoben. Er zeigt in seinem Aufsatze die thronende hl. Dreifaltigkeit, umgeben von den zwölf Aposteln, schwebend zu beiden Seiten. Die beiden Seitenaltäre sind Maria und Josef geweiht; der erste soll als Pieta mit den zwei Ampeln der Erinnerung der im Kriege 1914 bis 1918 gefallenen Söhne Dettingens gewidmet sein. Der bildnerische Schmuck der Altäre stammt wie auch die beiden Portalfiguren Peter und Paul von dem bekannten Frankfurter Bildhauer Paul Seiler, der seine Aufgabe in großzügiger Weise löste. Es ist bei Seiler wie bei Ewald vor allem das vollendete Einfühlen in den Geist des Bauwerkes besonders zu erwähnen, und wir möchten auch an dieser Stelle diesen beiden Künstlern unseren Dank aussprechen. Die gesamte innere Ausstattung sowie die kunstgewerblichen Arbeiten, als Altäre, Fenster, Beleuchtungskörper, Bestuhlung usw. sind nach unseren Entwürfen und Angaben ausgeführt.

Die sachliche Gestaltung im Äußeren entspricht ebenfalls dem christozentrischen Programm. Die beiden Flügelbauten streben mit Energie dem Hauptdache zu, das in bewußt einfacher Fläche den ganzen Raum zu einer großen Form zusammenfaßt. Die beiden Chorfenster betonen in sinniger Weise die Opferstätte auch im Äußeren; die anderen Lichtöffnungen treten gegen diese bescheiden zurück. Der Turm hat durch die nicht zu Ende geführte Kraftentfaltung eine Wucht erhalten, die dem ganzen Gotteshaus seine dominierende Stellung im Straßenbilde sichert. Er wirkt gerade durch seine gedrungene Form ungleich mächtiger, als dies durch einen hohen Turm zu erreichen wäre.

Als Baumaterialien wurden im Äußeren hauptsächlich die heimatlichen roten Mainsandsteine verwendet. Für die Stützen im Innern kam nur Eisenbeton in Betracht, um einerseits einen freien Blick auf den Hochaltar zu gewährleisten und andererseits das Leichte, Schwebende des Innenraumes nicht zu stören. Die Kirche liefert damit auch den Beweis, daß das bisher verpönte Material – Eisenbeton – sehr wohl für solche Zwecke zu verwenden ist, wenn damit nicht ältere Konstruktionsweisen nachgeahmt werden. Es sind aus dem gleichen Grunde Gewölbeimitationen in Eisenbeton vermieden, weil es dem leichten Eisenbetonmaterial widerspricht, Formen nachzubilden, die in früheren Zeiten durch die schweren, unelastischen Materialien, Backsteine und Bruchsteine, bedingt waren. Das Charakteristische des Eisenbetons ist die gegossene, gestampfte Hohlform, während das Backsteinmaterial geschichtete Lagen ergibt. Eine richtige Verwendung des Eisenbetons zu gewölbeähnlichen Deckenbildungen zeigen die beiden Beichtkapellen.

Im allgemeinen sei über christozentrische Kirchenbaukunst noch folgendes bemerkt: Die Pfarrkirche hat im Gegensatz zur Klosterkirche die weitere Aufgabe zu erfüllen, durch die Macht ihres Raumes die Gemeinde erst in die zur Mitfeier des hl. Opfers notwendige Stimmung zu versetzen, wogegen die Klostergemeinde den Raum bereits mit der erforderlichen Sammlung betritt. Wenn wir dazu uns heute kräftigerer Mittel bedienen, als dies in früherer Zeit geschah, so ist dies ganz besonders durch das aufgeregte Erwerbsleben unserer Zeit begründet. Wenn auch beim ersten Betrachten des Raumes vielleicht manches eigenartig erscheint, so möge bedacht sein, daß zu allen Zeiten eine Stilwandlung sehr neu („modern“) gewirkt haben muß. Bei eingehendem Studium und Einwirkenlassen der Raumstimmung wird aber der Betrachter sehr wohl Verwandtes mit dem religiösen Mittelalter finden, wenn auch mehr dem Geiste als der Form nach. Wir glauben, daß uns das Hoffnungsfrohe der katholischen Religion, des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele, in der licht- und farbenfreudigen Gesamtstimmung des Raumes geglückt ist. Man könnte dieses unser Streben auch eine Verschmelzung von tiefernster Gotik und freudigstem Barock nennen. Über den Namen unseres heutigen Kunstschaffens brauchen wir uns nicht zu unterhalten; es war auch unseren großen Vorfahren in der Gotik wohl nicht bewußt, daß sie „gotisch“ bauten. Auf jeden Fall hat dieser Bau mit „Expressionismus“ nichts zu tun. Wohl aber ist unsere Kunst Ausdruckskunst – wie alle historische Kunst überhaupt – weil sie die Form als Mittel zum Zweck benützt, um damit einen seelischen Zustand auszudrücken. Sie wird damit Gottesdienst im hohen Sinne des Wortes. So tritt sie in Gegensatz zur heidnischen Antike, welche die Schönheit der Form in erster Linie um ihrer selbst willen darstellte. Unmöglich dürfte es sein, mit den Bauformen eines Tempels von Paestum den seelischen Raumgehalt eines Bamberger Doms oder der Kirche von Vierzehnheiligen zu erreichen. Auf den Gebieten der Plastik und Malerei liegen die Verhältnisse ganz ähnlich, wie der Vergleich einer antiken Statue mit der Nürnberger Madonna zeigt, die gerade durch die überschlanke Gestalt und anmutige Bewegung in unübertrefflicher Weise das Hoheitsvolle der Gottesmutter zum Ausdruck bringt.

Es ist durchaus nicht notwendig, daß alle diese Momente dem Gläubigen zum Bewußtsein kommen; wohl aber werden sie dazu beitragen, ihn zur Sammlung und Andacht zu stimmen. Mögen diese Erläuterungen dazu verhelfen, dem Besucher das Verständnis für den Raumgehalt des neuen Gotteshauses zu erschließen. Das dürfte dem hochwürdigen Bauherrn, Herrn Pfarrer Dümler, wohl der schönste Dank für seine großen Opfer und das stets harmonische Zusammenarbeiten mit den Schöpfern sein.


publiziert in:
Festschrift zur Einweihung der Kirche am 1. Juli 1923