Eine Herz-Jesu-Statue von Reinhold Ewald
Die Neuentdeckung von 2023
Es war die Entdeckung im Vorfeld der Ausstellung zum hundertjährigen Jubiläum der Pfarrkirche St. Peter und Paul im Karlsteiner Heimatmuseum. Unter zahlreichen Zeichnungen von Reinhold Ewald im Museum Hanau fand sich neben einem Entwurf der Dettinger Madonna (Näheres dazu in der Schrift „Altäre in Dettingen“) auch eine Kohlezeichnung einer Herz-Jesu-Darstellung. Diese war zunächst nicht mit Dettingen in Verbindung zu bringen.
Im Zuge der Vorbereitung des Jubiläums wurden jedoch auch historische Fotos der Kirche gesichtet. In den Beständen des Geschichtsvereins fand sich eine Fotografie des Erstkommunionjahrgangs 1925. Die Mädchen und Buben hatten sich zusammen mit dem Pfarrer rechts vor dem Altarraum der noch nicht fertig ausgemalten Kirche aufgestellt. Im Hintergrund, an der Ecke zwischen Kirchenschiff und Chorraum, erkennt man eine Herz-Jesu-Figur, die eindeutig nach dem Entwurf Ewalds gefertigt wurde, höchstwahrscheinlich von ihm selbst. Charakteristisch sind die weit ausgestellten Ellenbogen, der unter der Schließe offene Mantel und das dort präsentierte Herz. Auch Frisur und Nimbus weisen starke Ähnlichkeiten auf, wenn auch das Gesicht in der Ausführung gefälliger gestaltet ist als im expressiven Entwurf. Auf der Fotografie ist das Material nicht eindeutig zu erkennen. Es könnte Holz sein, allerdings hat Ewald üblicherweise in Terrakotta gearbeitet, was diesen Werkstoff auch für die Dettinger Statue wahrscheinlich macht.
Es kann damit als gesichert gelten, dass Reinhold Ewald neben einer Madonnenfigur auch eine Herz-Jesu-Statue für die Dettinger Kirche geschaffen hat.
Diese Statue ist auch auf einer Innenaufnahme zu erkennen, die sich durch erhaltene Rechnungen auf das Jahr 1926 datieren lässt. Damals hatte der Aschaffenburger Fotograf Christian (gen. Christl) Hartmann eine Serie von Aufnahmen gemacht, die großenteils auch als Postkarten herausgegeben wurden. Es sind die frühesten Bilder sämtlicher Kreuzwegstationen. Auf dem Foto des Altarraums steht die Figur am selben Ort, ist allerdings farbig gefasst. Auch hat sie keinen Nimbus mehr, sondern ist stattdessen von einer Mandorla hinterfangen, die den Spitzbögen hinter der heutigen Marien- bzw. Josefsstatue auf den Seitenaltären entspricht.
Irritierend ist, dass bereits acht Jahre nach Einweihung der Kirche zwei (!) neue Herz-Jesu-Statuen vom Steinheimer Bildhauer Heinrich Wohlfahrt angefertigt wurden. Die eine wurde zusammen mit den Figuren der hl. Katharina und Barbara am 14. November 1931 berechnet und entspricht diesen auch stilistisch. Alle drei wirken fast barock, was durch die Farbfassung noch intensiviert wird. Wo sie im Kirchenraum aufgestellt waren, ist bislang nicht geklärt. Möglicherweise ersetzte Wohlfahrts Herz-Jesu-Statue die ältere von Reinhold Ewald am gleichen Ort. Katharina und Barbara stehen üblicherweise ihrerseits links und rechts vor dem Eingang zum Chor und ermuntern als sog. „Kommunionvermahnerinnen“ zu häufigem Kommunionempfang. Ähnlich wie in der Aschaffenburger Stiftskirche könnten sie also an den beiden vorderen Pfeilern angebracht gewesen sein.
Laut Rechnung wurden alle drei Figuren von Heinrich Wohlfahrt „vollständig neu umgearbeitet und polygrammiert“. Er erhielt demnach „zwei alte Figuren“ und „ein hl. Herz-Jesu“ zur Neugestaltung. Dass dies die oben beschriebene Ewald-Statue gewesen wäre, ist nicht sehr wahrscheinlich, da diese ja vermutlich aus Terrakotta und nicht aus Holz gefertigt war. Möglicherweise ist das Material auch der Grund für den Austausch. An ihrem Aufstellungsort – an der Ecke des Altarraums, dem direkten Weg zur Sakristei – stand die Figur nicht übermäßig sicher. Möglicherweise wurde sie umgestoßen und zerbrach? Über ihren Verbleib kann nur spekuliert werden.
Auch die drei Wohlfahrt-Statuen befinden sich schon lange nicht mehr in der Kirche. Das Herz-Jesu lagert seit mindestens 50 Jahren oberhalb der Sakristei, die beiden weiblichen Heiligen sind heute im Heimatmuseum ausgestellt.
Laut Rechnung lieferte Heinrich Wohlfahrt bereits im April 1931 eine Herz-Jesu-Figur. Ob er sie im selben Jahr zusammen mit Katharina und Barbara umarbeitete, kann nur vermutet werden. Die bis 2005 an einem der Pfeiler im Langhaus angebrachte holzsichtige Herz-Jesu-Statue, die heute in der Taufkapelle abgestellt ist, stammt ausweislich der Signatur aus dem Jahr 1949 und ist damit die letzte der Wohlfahrt-Figuren für Dettingen.* 1950 starb mit Pfarrer Hugo Dümler der Auftraggeber, von etlichen Arbeiten des Steinheimer Bildschnitzers, wie dem hl. Aloysius (1936)**, dem hl. Wendelin (1937), dem Auferstehungsheiland (1938), dem hl. Antonius (1939), der Pietà im Vorraum (1940) und der Figurengruppe „Flucht nach Ägypten“ der Weihnachtskrippe (1938).
Da Wohlfahrt für die Herz-Jesu- wie auch die beiden anderen Heiligenfiguren auch Konsolen in Rechnung stellte, war wohl von Anfang an beabsichtigt, sie an den Pfeilern aufzustellen. Dies verwundert durchaus, denn die bildgewaltige Kirche verträgt eigentlich keine konkurrenzierenden Bildwerke. Dass der kunstsinnige Bauherr, Pfarrer Hugo Dümler, dies dennoch unternahm, kann nur als pastorales Zugeständnis gewertet werden.
Für die Dettinger Kirche wurden also innerhalb von knapp drei Jahrzehnten drei oder vier Herz-Jesu-Darstellungen geschaffen. Die bedeutendste unter ihnen von Reinhold Ewald ist leider verloren. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass wir überhaupt von ihrer Existenz wissen.
Anmerkungen
* In den Büchern der Kirchenrechnung taucht sie nicht auf, sie wurde offenbar vollständig durch Spenden finanziert. Lotte Oster berichtet: «Ich kann mich noch entsinnen, dass von der Pfarrei zu meinen Kindertagen für eine Statue gesammelt wurde. Mir war bisher immer im Kopf, dass es sich um die Herz-Jesu-Statue gehandelt hat, zumal dies für St. Peter und Paul ja die letzte Anschaffung gewesen ist. Die Sammlung wurde einmal im Monat von Frauen durchgeführt, und meine Mutter sagte immer, wenn sie nicht zuhause sein konnte: Wenn für die Kirche gesammelt wird: Auf dem Küchenschrank liegt eine Mark. Ich glaube, es ist wie meiner Mutter auch vielen anderen Dettingern nicht leicht gefallen, regelmäßig einen Obolus abzugeben.»
** Lt. Emil Hofmann trug der Kommunionjahrgang seiner verstorbenen ersten Frau (*1927) maßgeblich zum Ankauf der Aloysius-Statue bei. Für diese Figur existiert eine Quittung von Heinrich Wohlfahrt über 300 Mark.
Originalbeitrag von Michael Pfeifer