Manhatten in Karlstein
Expressive Kirchturmpläne und unbekannte Entwürfe für die Pfarrkirchen in Dettingen und Großwelzheim
Dominikus Böhm überließ nichts dem Zufall. Der Erbauer der Pfarrkirchen in Dettingen (1923) und Großwelzheim (1927) schuf Sakralräume von hoher Suggestionskraft. Sein ganzes Architektenleben lang beschäftigte er sich mit dem Kirchenbau und konnte, als er 1955 im Alter von 75 Jahren starb, auf ein riesenhaftes Œevre zurückblicken. Hunderte Neubauten, Umbauten, Renovierungen und Projekte umfaßt die Werkliste, die 2005 im Katalog zur Ausstellung des Frankfurter Architekturmuseums erschien.[1] Die Räume mit ihrer ausgefeilten Lichtsymbolik ziehen auch heute Menschen in ihren Bann. Dabei ist bemerkenswert, daß vor allem zufällige und mit Kirche kaum in Berührung stehende Gäste sich fasziniert zeigen, indessen angestammte Gemeinden oft ihre Schwierigkeiten damit haben. Die Räume der 20er Jahre erscheinen den Katholiken von heute zu dunkel, die aus den 30er Jahren zu monumental.
Stellvertretend für Böhms theologisches Lichtkonzept kann die Dettinger Pfarrkirche stehen. Der Besucher betritt zunächst eine vollkommen dunkle Vorhalle (das Oberlicht über der Eingangstür wurde erst 1988 eingebaut). Durch eine vergitterte Pendeltür (das Böhmsche Original ging bereits beim Emporenumbau 1961 verloren) fällt nur spärlich Licht aus dem Hauptschiff herein. Sie öffnet dem Eintretenden die weite Halle des Langhauses. Das Halbdunkel, das ihn nun umfängt steigert sich zum lichtdurchfluteten Chor. Der Altar, ursprünglich durch reiche Vergoldung hervorgehoben und das gewaltige Kreuzigungsbild von Reinhold Ewald ziehen unwillkürlich Blicke auf sich. Dabei sind in der Kirche nirgendwo Fenster zu sehen. Die gesamte Beleuchtung ist indirekt angeordnet. Das Licht rieselt aus kleinen dreieckigen Luken im Obergaden ins Langhaus. Große, fast die Höhe des Raumes einnehmende Lanzettfenster im Chor versorgen diesen mit einer wahren Lichtfülle. Ähnlich eindrucksvolle Konzepte setzt Böhm in Neu-Ulm (1921–27) und Mainz-Bischofsheim (1926) um. Und auch in Großwelzheim ist der „atmende Raum“, der Wechsel von dunklen und lichtdurchfluteten Räumen, spürbar.
Bei all dieser großen raumschaffenden Geste zeigte Böhm Liebe zum baukünstlerischen Detail. Er schuf nicht nur Räume für die Feier der Liturgie, er entwarf Fußbodenmosaike und Kirchenfenster, er gestaltete Altäre, Kanzeln und Taufsteine, er zeichnete Kirchenbänke, Beichtstühle, Leuchter, Weihwasserbecken, Kelche und machte nicht Halt vor Lampen, Türdrückern oder Fenstergittern. Delbst das Siegel der Dettinger Pfarrei ist ein Entwurf von Dominikus Böhm.
Waren die Kirchen einmal eingeweiht, konnten die Bauherren sicher sein, im Architekten weiterhin einen Berater und engagierten Begleiter ihrer Wünsche zu haben. So traf auch der Dettinger Pfarrer Hugo Dümler (1890–1950) bei Böhm auf offene Ohren, als er ihn – wohl auf bischöflichen Druck hin – bat, die Altaranlage zu verändern und einen Aussetzungsthron für die Monstranz zu gestalten, wie er kirchenrechtlich vorgeschrieben war.
Dettinger Wolkenkratzer
Einen zweiten Wunsch trug Dümler bereits früh an Böhm heran: Da die Kirche keinen echten Turm habe, seien die Glocken im Dorf nur unzureichend zu hören. Im Juni 1926 entwickelte Böhm erstmals Ideen zu einer Veränderung der Eingangsanlage in Dettingen. Die im Historischen Archiv der Stadt Köln (HASK) aufbewahrten Kohleskizzen[2] aus seinem Nachlaß zeigen zwei unterschiedliche Konzepte. So hielt es Böhm für denkbar, dem bestehenden „Westwerk“ mit seinen bescheidenen 16 Metern Höhe eine Doppelturmanlage von doppelter Höhe beizugesellen. (Abb. 1) Dabei zeigt der eine Entwurf zwei längsrechteckige Türme, die den querrechteckigen Eingangsbau flankieren und damit eine platzartige Zugangssituation schaffen. Die himmelstürmende Ansicht fängt Böhm auf seiner Skizze durch das perspektivische Auseinanderdriften der Türme ein. Eine Variante mit quadratischen Türmen sieht einen Abstand zwischen dem bestehenden Baukörper und den Türmen vor, der auf Höhe der Turmplattform mit Bögen überbrückt wird. (Abb. 2) Eine Lösung mit etwas stimmigeren Proportionen. Ernsthafter in Erwägung gezogen hat Dominikus Böhm vermutlich den zweiten Entwurf – er ist im Unterschied zu den beiden anderen Blättern signiert und auf den 1. Juni 1926 datiert. (Abb. 3) Hier steht ein runder Campanile rechts etwas abseits und durch einen niedrigen Baukörper mit dem Seitenschiff verbunden. Das Untergeschoß des Turmes war vermutlich zur Aufnahme einer Taufkapelle gedacht. Daß die Ausführung kurz bevor stand zeigt der Briefwechsel zwischen Böhm und Dümler aus dem Jahr 1929.[3] In der ersten Böhm-Monographie aus dem Jahr 1930 findet sich ein entsprechender Grund- und Aufriß.[4] Allerdings ist der Turmbau dort rechts vom Chor vorgesehen. Über die Böhm-Bildbände 1943[5] und 1962[6] fand die Planung Eingang in manche Kunstführer. So bitten auch heute noch manche Besucher den Pfarrer, ihnen doch auch die Taufkapelle aufzuschließen.
Ein weiterer Anlauf zur Veränderung der Turmanlage und Ergänzung einer Taufkapelle wurde 1938 unternommen. Hier wäre der bestehende „Westbau“ mit einem blockhaft wirkenden Turm auf quadratischer Grundfläche überbaut worden und die Taufkapelle als eigenständiger Rundbau an die rechte Beichtkapelle angegliedert worden. Der Plan wurde mit Hinweis auf den Kriegszustand staatlicherseits nicht genehmigt.
Die seinerzeitigen Planungen kamen nochmals im Rahmen der Diskussion um den Pfarrheimneubau in unmittelbarer Nähe der Kirche zur Sprache. Ein Rundbau – wenn auch in anderer Funktion – hätte einen „wohltuenden Gegensatz zu den kubischen Maßen des Gebäudes“ dargestellt – so Böhm in seinem Erläuterungsbericht – und wäre eine Bereicherung für die Gesamtanlage gewesen.[7]
Modernes und „Gotisches“ für Großwelzheim
Auch für Großwelzheim hatte sich der expressionistische Architekt etwas ganz Besonderes ausgedacht. (Abb. 4) Auf gemauertem Unterbau erhebt sich eine achtgeschossige Turmkrone, deren untere fünf von drei schlanken Rundbogenfenstern eingenommen werden. Darüber wird die Fachung des Betongerüstes kleinteiliger und erhält in drei kleinen Halbkreisen, die ihrerseits wieder mit halbkreisförmigen Ziegeln gefüllt sind, ihren Schmuck. Der Entwurf aus dem November 1926 ist äußerst innovativ – sowohl technisch wie auch gestalterisch. Ob er sich ins Großwelzheimer Ortsbild eingefügt hätte, muß dagegen offen bleiben.
Wie nahe die beiden Kirchen sich zunächst auch im Entwerfen des Architekten sind, zeigt eine wohl sehr frühe Entwurfsskizze zur Erweiterung der Großwelzheimer Kirche. (Abb. 5) Der Bau würde zum Main hin durch zwei Räume verlängert: einem Querhaus und einem Chorraum mit illusionistischer Altargestaltung. Das Querhaus würde zum Chor und den Seitenschiffen durch abgetreppte Dereicksgiebel abgetrennt, die wie Kommunionbank und Emporenbrüstung ihre Nähe zu Dettingen nicht verleugnen können.
Daß die Gestaltungslinie, die Böhm seit der Errichtung der hölzernen Notkirche in Offenbach 1919 verfolgte, in Dettingen gedanklich noch nicht zum Abschluß gekommen war, zeigt auch eine von Böhm und Weber gestaltete Werbekarte aus dem Atelier für Kirchenkunst. (Abb. 6) Deutlicher noch als in Dettingen ist der Grundriß traditionell. Gerade in diesem Kontext wirkt das raumbeherrschende Dreieck als modernes Zitat der Gotik.
Der trapezförmige Chorbogen in Dettingen muß von daher als Kompromiß gesehen werden, um das Dreieck als Grundform nicht aufgeben zu müssen, gleichzeitig dem Raum etwas mehr Höhe zu geben. In der Planung experimentierte Böhm tatsächlich mit mehreren Varianten dreieckiger Chorbögen.
Ähnlich gotisch – durch die Verwendung von Backsteinen an den Ostseeraum erinnernd – nimmt sich ein Entwurf der Chorwand in Dettingen aus. (Abb. 7) Anders als in der ausgeführten Fassung sieht Böhm hier eine durch Lanzetten durchbrochene und durch Roll- und Flachschicht abgeschlossene leicht auskragende Krone vor.
Detailverliebtes Gestalten
Böhms Verständnis vom „Einheitsraum“ zeigt sich nicht zuletzt darin, daß er alle Ausstattungsgegenstände einem „Masterplan“ unterwarf. Nichts unpassendes sollte des geschlossenen Raumeindruck stören. In seinem Nachlaß finden sich daher Pläne für den Dettinger Taufstein, der aus Buntsandstein geferitgt werden sollte und die Dreiecksform mit dem traditionell der Taufe zugeordneten Kreis kombiniert. (Abb. 8) Anders als die auf dem gleichen Blatt gezeichneten Weihwasserbecken kam er nie zur Ausführung, obwohl bereits im Erläuterungsbericht der Eingang als Ort der Aufstellung genannt ist. Bei der zukünftigen Gestaltung eines ansprechenden Tauforts, könnte man demnach auf die Originalpläne Böhms zurückgreifen.
Die Kanzel wurde 1971 – seit sie liturgisch nicht mehr erforderlich war – entfernt. (Abb. 9) Der Plan, sie mit einem wohl in durchbrochener Metallarbeit auszuführenden Schalldeckel zu bekrönen, wurde nie ausgeführt. Vermutlich wäre er von ähnlicher Machart gewesen wie die Ewiglichtampel, die auf historischen Fotos zu erkennen ist, deren Reste seit 2015 aber leider verloren sind.
Manches Verlorene, wie die Kirchentüren ließen sich anhand der Originalpläne rekonstruieren. (Abb. 10) Die detaillierte Ausführungsplanung zeigt außen ein gefältetes Fischgratmuster, innen durch dreieckige Profilleisten entstehende Felder.[8] Beide Seiten waren in Englischrot gestrichen, wie ein Schreiben der Architekten an Reinhold Ewald wissen läßt.[9] Auch die originale Pendeltür im Vorraum ist in den Plänen gut dokumentiert. (Abb. 11) Eine Zeichnung des Türknaufs fertigte Böhm in Schnitt und Aufsicht sogar in Originalgröße an. (Abb. 12)
Die Präsentation von bislang unbekannten Zeichnungen und Plänen des bedeutenden Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm, der den deutschen katholischen Kirchenbau aus den Fesseln des Historismus befreit und mit immer neuen Raumschöpfungen zu neuen Höhen geführt hat, will sensibel machen für den Umgang mit den beiden außerordentlichen Denkmälern am Ort. Als Stätte der Verherrlichung Gottes, sollte dort nichts Unwürdiges und Unpassendes Platz finden. Böhm hat den Bau, den Raum und das Inventar im Zusammenhang gesehen. Alle Zutat unserer Tage muß sich fragen lassen, ob sie in diesen Zusammhang paßt. Dies gilt vor allem für rückwärtsgewandte Stilkopien vergangener Zeiten. Böhm war ein Erneuerer. Er zitierte Altes in neuen Formen ohne es zu kopieren. Modernem hingegen zeigte er sich stets aufgeschlossen. Gleichzeitig liegen für zukünftige Restaurierungsmaßnahmen originale Pläne bereit. Sie bei Planungen zu Rate zu ziehen hieße, nicht die Fehler vergangener Generationen bei unsachgemäßen Umbauten zu machen.
Die Kirchturmentwürfe Dominikus Böhms für Großwelzheim und vor allem für Dettingen sind wohl eher als Kuriosa abzutun. Daß mit Gottfried und Paul Böhm nun aber Sohn und Enkel die himmelstrebenden Minarette der großen Kölner Moschee enwarfen, läßt ahnen, daß wir es in Karlstein mit dem Begründer einer ganz besonderen Architektendynastie zu tun haben.
Anmerkungen
1 Wolfgang Voigt / Ingeborg Flagge (Hrsg.), Dominikus Böhm 1880–1955, Tübingen 2005. darin: Christine Nielsen, Werkliste Dominikus Böhm. Projekte, Wettbewerbe und ausgeführte Bauten, S. 121–171.
2 Sämtliche Abbildungen zeigen Pläne aus dem Büronachlaß von Dominikus Böhm, der im HASK unter der Bestandsnummer 1208 geführt wird. Die Dettingen betreffenden Pläne sind in den Mappen P 2/27 und 28 gesammelt, die Welzheimer Zeichnungen in P 2/57. Die Abb. 6 hingegen findet sich in den Schriftstücken A 115.
3 In einem Brief an Böhm schreibt Dümler am 22.9.1929, der Turmbau sei für „heuer ins Wasser gefallen“, da es kein Geld aus Würzburg gäbe, drängt aber gleichzeitig auf Vollendung des Altars (HASK 1208 A 126,80).
4 Dominikus Böhm, Berlin 1930. Abgedruckt in: Michael Pfeifer, Sehnsucht des Raumes, Regensburg 1998, S. 67.
5 Dominikus Böhm – ein deutscher Baumeister, Regensburg 1943, S. 17.
6 Dominikus Böhm, München 1962, S. 79.
7 Dominikus Böhm, Erläuterungsbericht zur Vergrößerung des Turmes und zum Anbau einer Taufkapelle vom 17.5.1938 (Pfarrarchiv Dettingen). Bereits in seinem Bebauungsplan für die unmittelbare Umgebung der Kirche aus dem Jahr 1925 sah Böhm einen Rundbau vor. Abbildung in: Michael Pfeifer, Sehnsucht des Raumes, Regensburg 1998, S. 172.
8 Die hölzerne Kirchentür, die Pfarrer Anton Wombacher 1961 zusammen mit dem Windfang anfertigen ließ, und die bis 1988 Bestand hatte, bewahrte diese Erinnerung, wenngleich im Vertauschen von Innen und Außen. Das vereinfachte Fischgratmuster zierte die Innenseite, die Fachung – nun aus trapezförmigen Stäben gebildet – die Außenseite. Die originalen Türflügel der Böhmzeit waren noch bis in die 80er Jahre in einem Schuppen im Pfarrgarten vorhanden.
9 Brief von Böhm/Weber an Ewald vom 16.6.1923. In der Böhmkirche in Neu Ulm ist eine (auf der Innenseite) vergleichbare Tür erhalten und ebenfalls in einem Rotton gestrichen.
von Michael Pfeifer publiziert in:
Unser Kahlgrund 54 (2009) S. 98–104
(dort um einige Details gekürzt)
Franz Kraft, bis 2008 Rektor zweier Böhm-Kirchen, zugeeignet