Reinhold Ewald

Die Pfarrkirche aus der Sicht des Malers

Das Kosmische hat alles Gewicht
und «Gewichtige» in sich –
also keine Abhängigkeit von Erdenschwere
und empirischer Realität.

Als ich 1923, etwa drei Monate vor der Einweihung, zum ersten Mal die im Rohbau befindliche Kirche betrat, kam sie mir zu eng und maßlich zu festgelegt vor, das heißt: alle Teile waren zu stofflich und tatsächlich meßbar – ob Säulen oder Abstände oder auch Materialverwendung in Betracht kamen. Ich muß dies aussprechen, da ich durch Italienreisen, Dom- und Münsterbesichtigungen ungeheure Festigkeit der Säulenwälder (Mailänder Dom), Stabilität des klaren Hohl- und Kuppelraumes, die klare Stabilität der Basiliken (St. Croce etc.) gewöhnt war. Das etwas verspielte Dekorative (Dreieck, Backsteinzacken) mußte durch dynamische Raumwirkung der Malerei überspielt werden.Ich sollte einen Entwurf machen. Ich sollte außerdem mich mit einer von Böhm gewünschten rein illustrativen Darstellung der Malerei in ablaufenden Themen der Stationen auf Rauhputz mit großen, mehr linearen (gewissermaßen das Thema illustrierenden) Darstellungen abfinden. Dieses Konzept zu akzeptieren, war mir unmöglich. Zu meinem Glück war Herr Pfarrer Dümler nach Besichtigung der Skizze des Hauptaltarbildes (Kreuzigung), das nicht auf Rauhputz gedacht, sondern in italienischem Sinne als Fresko entworfen war, so begeistert, daß ich eine gewisse Freiheit der Disposition meiner Vorstellung der Malerei erhielt.

Für mich war es unbedingt notwendig, die dünnbauliche Architektur durch eine suggestiv wirkende, raumausweitende Malerei in italienischem Sinne (Arezzo) zu übertönen, diese Wand- und Raumteile (kleine Säulen etc.) nur als Stütze eines absolut anderen Wirkungsphänomens zu benutzen und den Hohlraum der Kirche, der real maßlich war, in eine höhere geistige Bindung mit zentraler Energieausstrahlung umzusetzen. Hierzu kam mir der Gedanke, alle illustrationsmäßig gewünschte Erzählungsmalerei zu ignorieren und nach eigenem Ermessen eine kosmische Raumbildung entstehen zu lassen, die durch Ausweitung des Innenraumes durch räumlich wandvertiefende Malerei und durch gegenwirkende Zurückstrahlung der gesamten Malerei nach dem Innern des Kirchenraumes eine doppelte Federung der Länge und der Breite des Kirchenraumes erzielt.

Die Forderung an mich war somit: Die Seitenbilder, die sich in mittlerer Höhe des Kirchenraumes befinden, suggestiv bis in die Mitte des Raumes durch Säulen hindurch eine Wirkung ausstrahlen zu lassen, den dünnwandigen, den Chor abschließenden Schrägwandungen durch die Illusion ihrer Tiefen-Motive (Geburt und Verkündigung) eine vielfache, federnde Raumausweitung – besonders mit dem großen (wichtigsten) Altarbild – zu geben, den gesamten Kirchenraum in der Illusion (seiner Wirkung) etwa um das Doppelte in Länge und Breite zu erweitern, jedoch nur so und dergestalt, daß die Rückwirkung dieser Raumbilder und Themen bis zum Eingang und insbesondere zur Mitte (Kanzel) die Gemeinde religiös erfaßt und der Realität entzieht. Deshalb unterscheidet sich meine – der Architektur nur helfende – Disposition durch ihre geistige Wirkung grundsätzlich von malerischer Teildekoration und deren Stoffbehangenheit. Die Lösung für mich war die konsequente Totalwirkung der Ausstrahlung der federnden Wände auf die Mitte des Raumes. Was das Unbedingte (nicht an Dinglichem haftende) – wie etwa die Vergeistigung des Außenwelt-Lichtes durch (Kathedralen)-Glasfenster, Rosen – ausmacht (St. Chapelle, Notre Dame), was dem Weihrauch und dem schwingenden Kerzenlicht der Anbetung seine Wirkung gibt, was der Schall im Raum durch Liturgie erfährt, was das Gewichtbehaftete der Außenwelt in einem Kirchenraum ausschließt, was einem echten heiligen Raum eine Stimme gibt, die göttlich vor aller Raumwerdung den Schöpfer preist, sollte hier mit den relativ primitiven Mitteln auszudrücken versucht werden.

Die Zeit, die vergangen ist, hat wohl durch eine gewisse weiter ausgedehnte Anerkennung bewiesen, daß nach bestem Gewissen gearbeitet worden ist. Ich bin Dominikus Böhm, der sich überzeugen ließ, dankbar und vor allem Herrn Pfarrer Dümler und S. Hw. Herrn Pater Wiesebach, deren Unterstützung ich gnädig erhielt.

Es war selbstverständlich, daß ich alles damalige Können aufbot, um die hochdramatischen und innerlich menschlichen Erregungen durch Malerei auszudrücken, und zwar in der Spannweite der Vorstellungen von „Verkündigung“ und „Geburt“ im Gegensatz zum Leid Jesu.

Was bei aller Realistik angestrebt wurde, war das jeweilig erhöhte menschliche Empfinden des großen Auftrags.


verfasst im März 1967
publiziert in:
Die Kirchen in Dettingen am Main (1973), S. 43–46